4.9.2017 – Im März 2009 erlitt Rosina Toth einen Verkehrsunfall durch Fremdverschulden. Seither sitzt sie im Rollstuhl und kämpft vor Gericht gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) um eine Versehrtenrente. Nach einem verlorenen Prozess wurde jetzt auch die Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen. Rosina Toths in Schwarzbuch Versicherungen geschilderter Fall ist exemplarisch dafür, wie Recht zu Unrecht wird.
Von Franz Fluch
10.9.2017 – Eine Reaktion auf das Urteil findet sich im Wochenend-Kurier vom 9./10. September 2017. Nachzulesen hier
Schon das erste, bereits acht Monate nach dem Unfall im Auftrag der AUVA erstellte, Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass Rosina Toths Invalidität eine Folge des eingangs erwähnten Verkehrsunfalls ist. Einem Bericht der Tageszeitung Kurier zufolge wurde jedoch dieses erste AUVA-Gutachten nachträglich „korrigiert“, indem die Passage „völlige unfallbedingte Erwerbsunfähigkeit dauert an“ durchgestrichen und der Wortlaut „unfallkausale MdE [Minderung der Erwerbsfähigkeit] von 70%“ durch „MdE- NULL“ ersetzt wurde. Und zwar von Dr. Dieter Eschberger, Chefarzt der AUVA und langjähriger Spezi von Gustav Schneider, dem zuständigen Richter für AUVA-Verfahren am Wiener Arbeits- und Sozialgericht (ASG), der schon Rosina Toths Klage auf eine AUVA-Versehrtenrente im Erstverfahren abwies. Schneider ist neben seinem Brotberuf als ASG-Richter auch regelmäßig als Vortragender auf AUVA-Fachsymposien tätig – wie etwa dem Gutachterkongress kommenden Oktober im Wiener Luxushotel Marriott, wo er, neben einem Kollegen vom Obersten Gerichtshof, mit zwei Vorträgen unter dem Titel „Ärztliches Maß für das Gericht – woran wird der Arzt gemessen?“ und „Wieviel Objektivierung braucht das Gericht?“ vertreten sein wird. Im Anschluss an den Vortrag jenes Radiologen, der auch bei der Abweisung von Rosina Toths Wiederaufnahmeklage sein „ärztliches Maß“ beisteuerte und jenen sogenannten Hausgutachtern angehört, mit deren Fachwissen Schneider seine Urteile untermauert. Zu diesem handverlesenen Kreis zählt auch der HNO-Arzt Michael Zrunek, dessen „ärztliche Expertise allen Vorschriften zur Begutachtung der HNO-Heilkunde widerspreche“, zitierte Profil im Mai 2015 den deutschen Gerichtssachverständigen Manfred Müller-Kortkamp, eine internationale Koryphäe der HNO-Heilkunde. Im Interview für die Ö1-Sendereihe Hörbilder kommentierte der deutsche Gerichtssachverständige das von Zrunek im Auftrag von Richter Schneider über Rosina Toth erstellte HNO-Gutachten mit folgenden Worten: „Dieser Gutachter schreibt, die Frau hat nichts – und wir haben sie zwei Tage untersucht und haben den Beweis erbracht, dass schwerste Schäden der Gleichgewichtsstruktur vorliegen, insbesondere im Hirnstamm, und zwar durch das Unfallereignis. Ich kann es nicht verstehen, dass dieser Arzt nicht vor ein Standesgericht der Ärztekammer kommt wegen schlampiger Arbeit. Dieser Kollege gehört vor Gericht, denn der Vorfall ist 2009 gewesen, da hätte man noch behandeln können. Und der Richter, der ihn beauftragt hat und immer wieder beauftragt, der gehört des Amtes enthoben.“ Und in dem Profil-Artikel hieß es abschließend: „Laut Müller-Kortkamp sei die Staatsanwaltschaft Wien gefordert, wegen des Verdachts von Falschaussagen und falschen Diagnosen Ermittlungen aufzunehmen.“ Rosina Toths Rechtsstreit ist exemplarisch für das österreichische Justiz- und Gutachterunwesen, das einerseits auf das wirtschaftliche Naheverhältnis von Richtern und Gerichtssachverständigen zur Versicherungswirtschaft durch regelmäßige Vortragstätigkeit auf Seminaren und Kongressen zurückzuführen ist. Andererseits gibt es in Österreich keine Qualitätskontrolle für Gerichtsgutachten, wie sie eine parlamentarische Bürgerinitiative für Unfallopfer im Juni 2015 forderte. Schon drei Jahre vorher kam eine wissenschaftliche Studie im Auftrag der Arbeiterkammer zu dem Ergebnis, dass von 100 Gutachten „80 Prozent nicht einmal die Mindestanforderungen erfüllten“, berichtete damals Profil, während aufgrund politischer Begehrlichkeiten im selben Jahr 140 Mio. Euro aus AUVA-Unfallversicherungsbeiträgen durch sogenannte „Quersubventionierungen“ zweckentfremdet wurden, wie aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung der Grünen hervorgeht. Eine Hand wäscht die andere, während Unfallopfer durch die Finger schauen. Welche Rolle dabei der „einzelne Richter“ spielt, weiß ASG-Richter Schneider aus eigener langjähriger Berufspraxis, wie er schon 2003 im „Kommentar der anderen“ der Tageszeitung Der Standard unter dem Titel „An der unsichtbaren Kandare“ verkündete: „Der einzelne Richter darf sich durchaus den Luxus einer unabhängigen Rechtsprechung leisten – dann hat er beste Chancen auf eine Karriere zur Aburteilung von Hühnerdieben. Schwebt ihm eine Laufbahn anderer Art vor, hat er unaufgefordert zu wissen, welche Art von Verhaltensweise von ihm erwartet wird.“